Fehle[e]r

eröffnung  :::      28.09.2023 ab 19:00 uhr 

ausstellungsaduer :: 28.09.2023 -  29.10.2023

öffnungszeiten :: montag, dienstag, samstag und sonntag von 18:00 -  21:00 uhr

finissage: sonntag, 29.10.2023   11-16:00 uhr

 

 

vom fehler zum fehlenden. wo etwas fehlt, entsteht leere. fehler können passieren, großartig sein oder böswillig. man kann sich mit ihnen auseinandersetzen, sie einfach beheben, aus ihnen lernen, sich inspirieren lassen. fehler können wahrheit vertuschen. dann ist die gefahr einer gesellschaftlichern leere groß. etwas bewusst leer zu lassen kann wiederum zu weit mehr führen, als hätte man es einfach irgendwie gefüllt... die vielschichtigkeit des uns täglich begegnenden themenkomplexes wird in papier, kopie, buchkunst, sprache, collage, zeichnung, kaltnadelradierung, photographie, installation, textil und malere behandelt. der forschende anteil in den arbeiten dieser ausstellung ist entsprechend gross - oder vielleicht auch einfach nur sichtbarer. wir haben einen fehler in der ausstellung versteckt. scherz.

teilnehmende künstler:innen 

anna nau, anna rose, berit kröner + leo neumann, frieder falk, gerald chors, helge h. paulsen, ingke günther, kai cassuben, martin bronsema, michael perlbach, patrick becker, serafima bresler, simone fezer, sonja steinhoff, susanne thurn, timothy barnes 

weiteres auf https://www.facebook.com/xponart sowie auf instagram xponartgallery 

das hayflick-limit ist ein konzept, das hilft, die mechanismen hinter der zellalterung zu erklären. das konzept besagt, dass sich eine normale menschliche zelle nur vierzig bis sechzig mal vermehren und teilen kann, bevor sie sich nicht mehr teilen kann und durch programmierten zelltod zusammenbricht. timothy barnes zeigt 12 fotokopien auf a4-film. 

die körper-porträts sind teil der serie „leerstellen“, an denen patrick becker seit 2020 arbeitet. bei diesen interessiert ihn die frage, wie sich abstrakte farbe, weiße flächen, (ver-)kleidung und konkret körperlicher ausdruck aufeinander beziehen, auswirken und einander widersprechen können. dabei geschieht die auswahl der jeweiligen hintergrundfarbe willkürlich, ebenfalls, trotz ihrer psychologischen und instinktiven wirkung, eine interpretatorische leerstelle hinterlassend. leerstellen als konzentration auf das wesentliche. ein weiterer teil der serie wird zu zeit auf der nordart 2023 gezeigt. 

die raumhohen textilen arbeiten von susanne thurn entstehen in einem meditativen arbeitsprozess. dabei wird faden für faden aus dem gewebe gelöst. die erzeugten öffnungen geben eine blick auf das dahinter frei. „keeper i“ ist teil der reihe „keepers and healers“ – hüter eines ortes der stille und der vermittlung zwischen dem sichtbaren und nicht-sichtbaren. 

die arbeit „rearranged wisdom“ von michael perlbach greift das bekannte zitat "when too perfect lieber gott böse" des künstlers nam june paik auf - durch einfache umstellung der worte ergeben sich neue einsichten in den bedeutungskomplex von "gott", "perfect" und "böse", die paiks diktum zum teil karikieren, aber auch hintergründig herausfordern und unterlaufen. 

martin bronsema wählt einen unüblichen weg der collagenherstellung, indem er sich auf möglichst wenig material beschränkt, gegebenes kürzt, stückweise zensiert. so entsteht hier eine dada-poesie durch leerstellen, durch weglassen, für sich so frappant, dass sich die frage nach dem ursprünglichen kontext erledigt. 

in den fotomontagen der serie "unplan" von berit kröner geht es um die aufhebung konstanter orte und ihre hinterfragung mittels integrierter abdeckplanen. vom menschen produzierte, aber ungeplante landschaften führen teile des bildes als prothese fort. zu jeder arbeit gibt es ein umkehrtes gegenstück. in der installation "unplanmembran", eine co-produktion mit leo neumann (licht- und soundprogrammierung), verwandeln sich eins dieser bildpaare in ein immersives werk. gedruckt auf zwei hintereinandergehängte transparente stoffe, gerät das bildpaar durch die neumann'sche choreographie von natürlichen wie künstlichen geräuschquellen und licht in wechselnde zwischenzustände. der "location-glitch" wird erlebbar. 

„beim studium der archive stellte ich unstimmigkeiten fest: bei den zahlenberechnungen, bei den opferzahlen, bei den daten und bei den zeugenaussagen. wurden diese fehler absichtlich gemacht, um die wahrheit zu verbergen? als forscher versuche ich, antworten zu finden, aber jedes mal, wenn ich mich ihnen wieder nähere, habe ich angst, die quelle dieser fehler zu finden, denn wenn eine person hinter dem fehler steckt, dann besteht immer die gefahr einer wiederholung.“ serafima bresler bewegt sich im spannungsfeld der fehler, die lügen vertuschen, einerseits und denen im eigenen künstlerischen schaffen andererseits. als forscherin will sie lügen aufdecken, als künstlerin holt sie sich den fehler wieder zurück ins eigene, selbstbestimmte wirken.

„meine zeichnungen entstehen durch sich wiederholende linien. freihand oder mit hilfsmitteln. die nochmalige durchführung der selben handlung lässt ein gleichförmiges abbild der ersten linie erwarten. aber meine unzulänglichkeit und die veränderungen von papier stift und lineal während des zeichnens lassen fehler entstehen, die die zeichnung zu dem machen, was sie besonders macht. der steuerung der fehler gilt meine größte aufmerksamkeit.“, schreibt frieder falk

„fehlerzeichnung v“ ist eine spärliche niederschrift mit bleistift auf einem bogen papier. worte werden geschrieben und wieder ausradiert, fehlerhaftes taucht auf, verschwindet und hinterlässt spuren. die arbeit ist im zusammenhang mit dem buchprojekt „vierundvierzig fehlertexte“ von ingke günther entstanden. 

im versuch der erkenntnis durch fehlschlüsse wird ein durch fehlerhafte haken entstandener glasbruch wieder eingeschmolzen. kreislaufwirtschaft. die annäherung an eine neue, teilweise amorphe form soll es werden. ungelenk, noch träumend tastet sie sich vor. wie eine form finden, die existenz verspricht? etwas fehlt, aber was? glänzende versprechen und fehl(er)stellen zeigt simone fezer

bilder auf lange abgelaufenem polaroidmaterial, die keine fotos im umgangssprachlichen sinne mehr zeigen, aber, wie gerald chors in der materialbeschreibung verrät, durchaus photographien - im etymologischen sinne des wortes, „zeichnen mit licht“ [photós graphein]. das bildgebende, photographische material im diptychon „o.t/ot“ wird inszeniert, vergrößert, die für- sich stehende bildhaftigkeit der werke durch die rahmung betont. in schwarzem und weißem holz zitiert das diptychon die königsdisziplin der photographie, die ursprünglich nur aufgrund technischer defizite entstand und erst so einen künstlerischen reichtum nach sich zog. die abwesenheit der farbe, die in den unendlichen grauwerten dennoch, oder gerade, durchblitzt verweist auf die einzigartigkeit des ausgangsmaterials. die in diesem noch existente haptik spiegelt, beziehungsweise manifestiert sich im sinnlich anmutenden bildinhalt - und dieser steht, bei bewahrten fehlern und einer nahezu vollständigen absenz des ursprünglich fotografierten bildinhaltes, in irritierendem verhältnis zur erwartungshaltung im zeitalter immer perfekter gerechneter optiken und aufzeichnungsgeräte. denn wo bei einer immer perfekteren, unmittelbareren und nahezu unendlichen bebilderung die bildgenerierende wie dechiffrierende leistung zunehmend auf die geräte verlagert wird, und die kreative schaffung wie reflektierte aneignung sich immer weiter verkürzt, wird ein paradigmenwechsel in der kulturgeschichte der photographie sichtbar, und mit einem leisen seufzer ein "verlust der sinnlichkeit in der photographie". 

irgendwann in den 2010er jahren nimmt kai cassuben ein leeres blatt papier, weiß, din a4, und macht mit seinem epson xp-312 tintenstrahldrucker eine kopie. eer nimmt die kopie und kopiert sie. er nimmt die neue kopie und kopiert sie. erneut nimmt er die neue kopie und kopiert sie. er wiederholt diesen vorgang sehr häufig. am ende gibt es 144 blätter, die zu einem buch gebunden werden. „e x nihilo nihil fit“ ist lateinisch und heißt übersetzt "nichts kommt von nichts". dieser antiken erkenntnis setzte die frühchristliche theologie die creatio ex nihilo (die schöpfung aus dem nichts) entgegen. gott ist die alleinige ursache für die erschaffung der welt. die kopien bleiben nicht leer. im laufe der zeit zeigen sich spuren. die erschaffung der welt erfolgte in in 144 schritten auf einem epson xp-312. 

sonja steinhoff arbeitet mit einer zufallsbasierten und daher unvorhersehbaren art des transfers von einem medium (fotodruck) in ein anderes (stoff). bildteile lösen sich beim übertragungsprozess stellenweise auf, details einer vorder- und rückseite verbinden sich zu etwas völlig neuem. scheinbare „fehler“ und leerstellen werden nicht kaschiert, sondern hervorgehoben, mit goldfaden verschlossen oder eingefasst, aber auch bewusst belassen. 

als menschen bewegen wir uns zeitlebens in systemen, gesellschaftlichen und sozialen räumen. sie können uns auf der einen seite einen rahmen bieten, der sicherheit und orientierung verspricht und auf der anderen seite einengen in der (persönlichen) entfaltung. die serielle arbeit „it doesn’t really fit“ von anna rose zeigt den unmöglichen versuch des sich hineinzwängens in unpassende umstände. jeder versuch ein scheitern, selbst wenn man sich noch so klein macht. 

unter dem markanten titel „liebesknochen“ verschmilzt die bedeutung von verletzbarkeit und menschlicher verbundenheit auf eindrucksvolle weise. ein hammer, der normalerweise als symbol der stärke dient, wird hier von den scherben, die ihn umgeben, auf unerwartete weise außer kraft gesetzt. die scherben stehen dabei nicht nur für fragilität, sondern spiegeln auch die feine haut wider, unsere verletzlichkeit symbolisierend. dadurch wird der hammer, der in seiner konnotation für stärke und energie steht, von anna nau in eine beinahe zärtliche interaktion verwickelt. 

um die wissenschaftliche suche nach dem „missing link“, dem verbindungsstück das den übergang von einer zur nächsten existenz nachweisen könnte geht es in der photographischen arbeit mit eben dem titel. das foto zeigt ein absurdes „missing link“ zwischen oktopussen und bananen - aber ist nicht jeder zusammenhang zumindest in der kunst, vielleicht auch in der wissenschaft, denkbar? und was gedacht ist, gibt es das nicht schon zumindest in unserer vorstellung? fragt die arbeit von helge h. paulsen bildlich nach, nach den absurdesten verbindungen, die noch nicht entdeckt sind.